Indien

Image61km von lahore bis amritsar

 

 

 

An der Grenze
indien fängt sehr gut an, und zwar schon an der grenze. die beamten offerieren uns einen ersten masala tee und sind gut gelaunt. die befürchtete gepäckdurchsuchung fällt heute aus. am zoll mache ich eine interessante beobachtung: fast ameisenstrassenmässig wird ein pakistanischer lastwagen von rot oder grün gekleideten pakistanischen trägern entladen. ein bis zwei pakete pro person werden richtung indien auf dem kopf transportiert. an der grenzen geraten die pakete unter strenger aufsicht in die hände der indischen träger, die blau gekleidet sind. ich vergesse beim zuschauen den mund zu schliessen.

kühe, büffel, schweine, hunde, autos, busse, lastwagen, rikschas, fahr- und motorräder, strassenhändler, fussgänger, bettler und sonst eigentlich alles was kreucht und fleucht zieren das strassenbild. langsam erreichen wir amritsar, einer stadt mit 1.5 mio einwohnern.

Amritsar
hier werde mich länger aufhalten, um möglichst schnell wieder fit zu werden. ich brauche ruhe. aber vor mir stehen drei schwierigkeiten, für die ich möglichst schnell eine lösung finden muss:

  1. während meinem aufenthalt muss ich einen sicheren platz für meinen töff finden, wo ich auch gewisse reparaturen selber machen kann.
  2. ich habe vom spital in pakistan keinen bericht erhalten. ich muss für die krankenversicherung einen medizinischen bericht von einem arzt erstellen lassen.
  3. ich will einen guten naturheilarzt für meine therapie finden.

auch wenn indien sehr günstig ist, will ich nicht unbedingt viel geld dafür ausgeben müssen.

das vom lonely planet empfohlene guest house in amritsar ist uns zu teuer. wir wollen weiter suchen und geraten mit einem fahrrad-rikschafahrer in kontakt; wir trauen ihm nicht so ganz. eine frau spricht uns an. sie ist anfangs sechzig und scheint unter anderem auch wegen ihrer golfermütze keine inderin zu sein. sie ermutigt uns, dem rikschafahrer vertrauen zu schenken. mir durchfährt etwas, das man als lichtblitz bezeichnen könnte. sitze ich hinten im auto, sie kann mich nicht sehen, müsste ich sie doch ansprechen, denn sie könnte mir bei meinen problemen behilflich sein. - ich wage es nicht, denn ich fürchte eine absage. sie scheint mit dem guest house etwas zu tun zu haben. ich will es später versuchen.

gleich am folgenden morgen gelingt es mir ihre adresse ausfindig zu machen. ich lasse mich per rikscha hinfahren. ich kann nichts verlieren und betätige die klingel neben dem tor. ein diener kommt aus dem haus und fragt mich etwas in hindi. in englisch vesuche ich zu erklären und denke, dass es schief geht, weil ich hätte nicht nach der frau, sondern nach dem herrn des hauses fragen müssen. ich kenne ja die hiesigen sitten nicht. der diener versteht nichts. zum glück. als ich von drinnen eine frauenstimme höre, die mich herein bittet, fällt mir ein stein vom herzen.

im wohnzimmer sitzt ein etwas grimmiger herr, der seine frau frägt, warum sie einen fremden ins haus reinlässt. ich stelle mich kurz vor, schildere meine situation und denke, dass ich jetzt besser gehen soll. die stimmung des herrn ist nicht gerade einladend. die frau, sie heisst roma, reagiert sehr positiv und will mir helfen. der töff gehört hinter ihr haus, ärzte kenne sie genug. sie telefoniert auch gleich einem freund, einem anwalt, der ihr auch schon einmal half.

jetzt geht es schnell. eine stunde später fährt mich der anwalt gleich ins spital. ich darf nicht anstehen, wie es die andern leute hier tun und werde gerade vom arzt persönlich behandelt. ich setze mich, dann werden alle patienten, die teils schon vom arzt behandelt werden, rausgeschickt. ich kriege eine privatbehandlung. mir ist es nicht recht, aber ich kann es nicht ändern. es werden röntgen gemacht und der bericht liegt in handschriftlicher und etwas unleserlicher form noch am abend vor. die ausserordentlichen ferienfotos und der arzt kosten mich umgerechnet 9.- chf. das bringt mich auf einen satz, den ich über indien einmal gelesen habe: alles ist möglich in indien.

am nächsten morgen wird mein töff vom autodach abgeladen. richie und manuel ziehen auf ihren eigenen wegen weiter. ihre planung sieht vor, dass wir uns kaum mehr treffen können. ich bleibe zurück im hotel mit einer einladung zum mittagessen bei roma.

der zweite besuch bei roma gestaltet sich sehr angenehm. das essen schmeckt sehr indisch: linsen! ihr mann, gerhard, wurde gesprächiger. er ist deutscher staatsbürger, hat früher als monteur in aller welt gearbeitet. vor 3/4-jahren erlitt er einen schlaganfall und ist seither in rehabilitation. er leidet oft an depressionen und ist oft schlecht gelaunt. roma schlägt vor, dass ich mit gerhard die zeit vertreiben soll. das entlaste sie. sie könne ihre reise nach amerika besser vorbereiten. mir schien das recht, kann ich damit auch wieder etwas gut machen.

ich lerne gerhard besser kennen. er hat einen guten humor und ist ein guter schachspieler. täglich machen gerhard und ich einen kleinen spaziergang und diskutieren dabei viele dinge, die uns beschäftigen. an humor fehlt es nicht.

roma freut es sehr, denn gerhard hat nun einen kumpel und ist besser gelaunt. sie ist es auch, die mir einen naturheilarzt vorstellt: malwinder. der arzt ist in meinem alter. im gespräch stellen wir gegenseitig immer wieder fest, wie verschieden wir sind. malwinder ist äusserst hilfsbereit, verbringt ebenfalls viel zeit mit mir, damit ich mich nicht alleine fühle. das ist jedenfalls seine ansicht. es hätte ja sein können, dass ich, auf meiner reise, ein problem mit dem alleinsein haben könnte. er stellt anfangs viele fragen. immer wieder muss ich mich für etwas entscheiden. da kommt es auch vor, dass ich in einen fettnapf trete. auch wenn er etwas zum vorherein nicht möchte, fragt er mich. fällt mein entscheid falsch aus, lässt er mich es wissen, ist mir aber nicht böse und tut, was ich wünsche. meine erklärungen dazu bringen malwinder zum staunen. das ist indische kommunikation: freundlichkeit geht vor. wir werden gute freunde, die fragen werden seltener, die fettnäpfchen sind nicht mehr so gross.

natürlich steht auch eine visite beim goldenen tempel an. der tempel ist das heiligtum der sikh religion und wird als wahlfahrtsort von vielen leuten besucht. im tempel wird täglich vom morgen bis am abend unter begleitung von perkussion das heilige buch singend rezitiert. viele leute baden auch im see des nektars, der um den tempel liegt.

in amritsar darf die visite des jallawabagh nicht fehlen, einem park auf dem im jahr 1916 mehr als 2000 friedliche demonstranten erschossen wurden. dies war für indien ein entschiedendes ereignis für die unabhängigkeit von grossbritanien. im park steht nun ein eindrückliches denkmal mit einem ewigen feuer.

ich kann indien sehr intensiv erleben. in sachen geduld werde ich auf die probe gestellt.
~ wenn ich etwas reparieren lassen will, dann werden meine ansätze dazu nicht verstanden. sie haben ganz andere ansichten und vorgehensweisen. es fehlt fast überall an richtigen werkzeugen und messeinrichtungen. meine brille ist defekt, die rückhaltefeder ist gebrochen und der bügel stört mich deswegen an der schläfe. ein optiker verbiegt die brille so, dass der bügel nicht mehr stört. aus sicht des indischen optikers ist dies die lösung. dafür sitzt die brille jetzt nicht mehr fest genug. ich biege sie im hotel wieder zurecht.
~ in der post gibt es einen schalter, an dem werden nur marken verkauft. der brief wird an einem anderen schalter gestempelt - keiner pfuscht in die arbeit des anderen.
~ eine quittung für das hotel kann nicht gleich bei der bezahlung ausgestellt werden. statt dessen erhalte ich ein aufgebot, am abend nochmals zu erscheinen. das ist steuertechnik. auf der quittung steht: pay with a smile.
~ bei jedem preis, der genannt wird, wird das wort only angehängt, auch wenn es sich beim betrag um einen dreifachen monatslohn handelt.
~ rikschafahrer sind ein kapitel für sich. sie nehmen einen auftrag an, haben aber keine ahnung wohin sie fahren müssen. pünktlichkeit ist wohl das letzte, was sie lernen. es kommt vor, dass ein solcher fahrer unaufgefordert mich um 4:30 morgens weckt, weil er denkt ich hätte einen auftrag für ihn. dies weil er am vortag am morgen zu spät kam und ihm deswegen der auftrag durch die latten ging.
~ überhaupt für privates haben inder wenig übrig, es wird nicht gewartet, bis im hotelzimmer jemand die türe öffnet, es wird gleich nach dem klopfen eingetreten.
~ der aufwand für röntgenbilder und arztberichte etc. hat sich nicht gelohnt: die kosten sind so tief, dass ich für die gesamte behandlung nicht über den selbstbehalt von 50.-chf komme.
~ in der nacht läuft ein wächter die strasse auf und ab. er hat einen stock in der hand. ab und zu pfeift er mit einer trillerpfeife, damit die leute, die ihn bezahlen auch hören können, dass er noch da ist.

wer denkt, dass ich mich dabei aufrege, der irrt sich deutlich. ich lache mich zwischendurch fast krum.

die zeit vergeht schnell. es wird dezember. für die inder hier der erste der beiden wintermonate. während der tag ca. 20 grad warm wird, kann es in der nacht fast null grad werden. diese temperaturschwankung macht den indern mühe. die häuser haben kein warmwasser und keine heizung, weil es 10 monate im jahr heiss ist. die armen leute hocken am strassenrand an ein feuerchen und schlafen unter einer zerfansten decke dicht aneinander liegend auf dem harten und kalten boden.

roma macht mir einen vorschlag, den ich erst einmal etwas überdenken muss. mitte dezember will sie zusammen mit gerhard für einen monat nach new york fliegen. während dieser zeit soll ich zusammen mit ihrem diener ihr haus hüten. ich sage zu, und so kommt es, dass ich hier in indien nun wie ein könig leben kann: ich habe ein eigenes haus, einen diener, der für mein allgemeinwohl sorgt und einen freund, der mir gesellschaft leistet. was will ich mehr? alles ist möglich in indien.